Bei steuerstrafrechtlichen Ermittlungen kommt es immer wieder zu Überschneidungen mit strafrechtlichen Verfahren. Der Zugriff des Staates auf Daten, insbesondere in Form elektronischer Speichermedien wie Festplatten, wirft regelmäßig Fragen nach der Zulässigkeit ihrer Auswertung auf. In einem vom BFH entschiedenen Fall war die Frage relevant, ob die Finanzverwaltung im Rahmen eines Strafverfahrens sichergestellte Daten zur Begründung steuerlicher Maßnahmen heranziehen darf. Der BFH nahm im konkreten Fall ein Verwertungsverbot an, weil er einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung bejahte.
Streitpunkt ist, ob die Klägerin, eine zypriotische Kapitalgesellschaft (Ltd.), in den Jahren 2009 bis 2012 in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig war. Strittig ist insbesondere, ob sich der Ort der Geschäftsleitung faktisch in Deutschland befand.
Obwohl die Klägerin ihren Sitz in Zypern und dort einen formellen Geschäftsführer hatte, ging das Finanzamt davon aus, dass das Tagesgeschäft tatsächlich von den in Deutschland lebenden AR und WR geführt wurde. Diese waren Gesellschafter der GmbH, die alleinige Anteilseignerin der Ltd. war.
Diese Einschätzung stützte sich maßgeblich auf Erkenntnisse aus einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren wegen möglicher Verstöße gegen das Wertpapierhandelsgesetz gegen AR und WR. Im Rahmen dieses Verfahrens wurde im Februar 2012 bei einer Durchsuchung der Geschäftsräume der A-OHG, an der beide beteiligt waren, unter anderem eine Festplatte sichergestellt. Auf dieser befand sich umfangreicher E-Mail-Verkehr zwischen AR, WR und dem offiziellen Geschäftsführer der Klägerin. Die Auswertung dieses Materials ergab laut Prüfer, dass zentrale Entscheidungen und Anweisungen zur Geschäftsführung der Klägerin regelmäßig von Deutschland aus erfolgten und nicht von dem in Zypern ansässigen Geschäftsführer.
Das Finanzamt bewertete dies als Beleg dafür, dass sich der Ort der geschäftlichen Oberleitung – und damit der steuerlich relevante Ort der Geschäftsleitung – in Deutschland befand. Auf dieser Grundlage setzte es für die Jahre 2010 bis 2012 Körperschaft- und Gewerbesteuer fest.
Die gegen diese Festsetzung gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht Baden-Württemberg bestätigte die Sichtweise des Finanzamts und wies die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Revision vor dem Bundesfinanzhof war hingegen erfolgreich. Der BFH stellte fest, dass das FG im Rahmen seiner Beweiswürdigung Daten von der Festplatte berücksichtigt hatte, die einem Verwertungsverbot unterlagen.
Nach § 393 Abs. 3 Satz 1 AO dürfen Erkenntnisse, die rechtmäßig im Rahmen eines Strafverfahrens erlangt wurden, im Besteuerungsverfahren grundsätzlich verwendet werden. Diese Erlaubnis gilt auch für Zufallsfunde oder Daten aus Verfahren wegen Nichtsteuerstraftaten.
Der BFH führt aus, dass die Staatsanwaltschaft die Festplatte im streitgegenständlichen Fall zwar rechtmäßig in Besitz genommen habe, ihrer Auswertung für Zwecke des Besteuerungsverfahrens aber entgegenstehe, dass die Staatsanwaltschaft vor der Übersendung der Festplatte an den Prüfer keine Durchsicht nach § 110 StPO vorgenommen habe.
§ 110 StPO weist der Staatsanwaltschaft die Aufgabe zu, die Papiere und die elektronischen Speichermedien der von der Durchsuchung betroffenen Person durchzusehen, um zu prüfen, ob für sie eine richterliche Beschlagnahme zu beantragen ist oder ob ihre Rückgabe notwendig ist. Die Durchsicht selbst stellt also noch keine formelle Sicherstellung oder Beschlagnahme dar.
Das FG ging davon aus, dass eine Durchsicht entbehrlich gewesen sei, weil eine richterliche Beschlagnahmeanordnung vorgelegen habe. Dem tritt der BFH entgegen. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG führt er aus, dass es sich bei dem Beschluss des Ermittlungsrichters noch nicht um eine richterliche Beschlagnahmeanordnung gehandelt habe, weil der Beschluss die Gegenstände lediglich abstrakt nach der Gattung aufgeführt habe. Eine Beschlagnahmeanordnung könne aber nur dann vorliegen, wenn die Gegenstände genau bestimmt würden.
Daher kommt der BFH zu dem Ergebnis, dass eine Durchsicht und eine Aussonderung von nicht verfahrensrelevanten Informationen nach § 110 StPO hätte stattfinden müssen.
Der festgestellte Verstoß gegen § 110 StPO führte nach Ansicht des Senats zu einem Beweisverwertungsverbot. Zwar bestehe nach ständiger Rechtsprechung kein allgemeines Verwertungsverbot für Erkenntnisse, die verfahrensfehlerhaft erlangt worden seien, allerdings bestehe ein qualifiziertes materiellrechtliches Verwertungsverbot, wenn die Grundrechte des Betroffenen verletzt würden.
Dies sei der Fall, weil ungerechtfertigt in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen worden sei. Der BFH wiegt die informationelle Selbstbestimmung mit dem einer gleichmäßigen Besteuerung dienenden Interesse an einer umfassenden Sachaufklärung ab und kommt zu dem Ergebnis, dass die informationelle Selbstbestimmung überwiegt.
Dafür führt er unter anderem aus, dass die Delikte nach dem Wertpapierhandelsgesetz, wegen derer gegen AR und WR ermittelt wurde, keinen inhaltlichen Bezug zum die S-Ltd. betreffenden Besteuerungsverfahren gehabt hätten. Daher sei von vornherein zu erwarten gewesen, dass die Daten, die für die Ertragsbesteuerung der S-Ltd. relevant seien, zu den Daten gehören würden, die im Rahmen der Durchsicht „zurückzugeben“ oder zu löschen gewesen seien.
Außerdem berücksichtigt das Gericht, dass sich die sichergestellte Festplatte zum Zeitpunkt der Übersendung bereits fast drei Jahre im Besitz der Staatsanwaltschaft befunden habe. Die Durchsicht nach § 110 StPO habe aber „zügig“ stattzufinden. In der strafrechtlichen Rechtsprechung seien schon Zeiträume von über drei Monaten als „unangemessen lang“ beurteilt worden – diese Zeiten seien bei Weitem überschritten gewesen.
Der BFH betont weiter, dass das FG im zweiten Rechtsgang den Sachverhalt ohne Berücksichtigung der aus der Festplattenauswertung gewonnenen Erkenntnisse beurteilen muss. Aufgrund des festgestellten, grundrechtsrelevanten Verfahrensverstoßes sei das Verwertungsverbot ausnahmsweise auch auf solche Tatsachen zu erstrecken, die nur durch die rechtswidrig erlangten Informationen aufgedeckt werden konnten.
Oft stellt sich die Frage, ob die in einem Besteuerungsverfahren erlangten Erkenntnisse für ein Strafverfahren genutzt werden dürfen. Hier ist der umgekehrte Fall betroffen, sodass die Frage zu beantworten ist, ob die Erkenntnisse aus einem Strafverfahren für das Besteuerungsverfahren genutzt werden dürfen. Damit geht die Frage einher, unter welchen Voraussetzungen ein Verwertungsverbot im Besteuerungsverfahren besteht.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kennt das Steuerrecht kein generelles Beweisverwertungsverbot. Bloße Verstöße gegen Verfahrensvorschriften führen daher in der Regel nicht zu einem endgültigen Ausschluss der Beweisverwertung. Ein Beweisverwertungsverbot tritt nur dann ein, wenn durch den Verstoß zugleich in Grundrechte des Steuerpflichtigen eingegriffen wird. In einem solchen Fall liegt ein sogenanntes qualifiziertes materielles Beweisverwertungsverbot vor, das eine uneingeschränkte Unverwertbarkeit der erlangten Erkenntnisse zur Folge hat. Im Rahmen der erforderlichen Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern wird dem öffentlichen Interesse an einer gesetzeskonformen Besteuerung grundsätzlich ein erhebliches Gewicht beigemessen.
Die Entscheidung des BFH macht aber deutlich, dass auch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Einzelfall Vorrang haben kann. In einem solchen Fall ist die Verwendung von im Strafverfahren erlangten Daten im Besteuerungsverfahren unzulässig.
Für Unternehmen und deren Führungskräfte bedeutet dies, dass die Finanzverwaltung nicht uneingeschränkt auf alle gespeicherten Informationen zugreifen darf. Eine frühzeitige rechtliche Beratung ist daher unerlässlich, um Risiken frühzeitig zu erkennen, zu minimieren und die Interessen des Unternehmens wirksam zu schützen.
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